Warum PraxisLeitlinien

 

Zu Beginn des 21. Jahrhunderts steht das Gesundheitssystem in Deutschland vor zahlreichen Herausforderungen, die auch auf die medizinische Versorgung von Schmerzpatienten Einfluss nehmen.

  • Überlegungen zur Neubestimmung des Verhältnisses von Eigenverantwortung und Solidarität,
  • Konzepte zur Schaffung einer nachhaltigen Finanzierung,
  • präventive (Neu-) Ausrichtung der gesundheitlichen Versorgung,
  • verantwortliche Lösung ethischer Konflikte
  • Entwicklung von Verfahren zur zeitnahen Umsetzung des medizinischen Fortschritts.


Leitlinien sind bereits jetzt aus dem klinischen Alltag nicht mehr wegzudenken und werden in Zukunft das diagnostische und/oder therapeutische Handeln zunehmend beeinflussen.

Dabei ist der politische, volkswirtschaftliche und medizinische Anspruch an die Qualität und den Nutzen von Leitlinien vor dem Hintergrund notwendiger Reformen im öffentlichen Gesundheitswesen außerordentlich hoch,wenngleich nicht in jedem Fall deckungsgleich:

… aus medizinischer Sicht sollen Leitlinien zu einem Mehr an Versorgungsqualität führen (u.a. indem sie Über-, Unter- und Fehlversorgung vermindern oder sogar verhindern), die Transparenz bei der Patientenversorgung erhöhen, das Handeln medizinisch richtiger, messbarer und berechenbarer machen, die Möglichkeiten der Kommunikation stärken und mit ihrer Informationsfunktion zugleich helfen, Prozesse besser kontrollieren und verstehen zu können.

… aus politischer und volkswirtschaftlicher Sicht stehen - auch wenn dies selten direkt so formuliert wird - insbesondere die ökonomischen Einspareffekte z.B. durch Vermeidung überflüssiger, überholter oder überteuerter Leistungen oder die bevorzugte Empfehlung preiswerter(er) Wirkstoffe, Verfahren und Prozeduren im Vordergrund.


Ob Leitlinien diesen, nicht immer Hand in Hand gehenden, Erwartungen zwischen medizinisch indizierten und ökonomisch erwünschten Effekten gerecht werden können mag angesichts der unverändert primär sektoral ausgerichteten Betrachtungsweise der an Leitlinien interessierten Parteien und ihren unterschiedlichen Zielvorstellungen bezweifelt werden. Angesichts der enormen, durch subakute und chronische Schmerzen bedingten, indirekten Krankheitskosten ist gesamtvolkswirtschaftlich betrachtet der teuerste Schmerzpatient unverändert der, der wegen seiner Beschwerden weder an den beruflichen, noch den sozialen oder privaten Bereichen des alltäglichen gesellschaftlichen Lebens teilhaben kann und nicht der, der z.B. ein besonders teures Arzneimittel erhält oder der verzweifelt um ein im Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherungen nicht enthaltenes, medizinisch jedoch indiziertes und wirksames Verfahren kämpft.

Als Hilfsmittel zur Interpretation des jeweiligen fachspezifischen Standards sind wissenschaftlich fundierte fachgebietsbezogene Leitlinien sinnvoll und wichtig.

Ärzte müssen sich hinsichtlich der praktischen Umsetzung von Leitlinienempfehlungen ihrer Grenzen bewusst sein:

  • Abweichungen von Leitlinien sind nicht nur erlaubt, sondern u.U. sogar notwendig, denn …
  • haftungsrechtlich sind Leitlinien reine „Orientierungshilfen“.


Gute,d.h. externe Evidenz, praktische Erfahrungen und die Erwartungen Betroffener gleichwertig berücksichtigende Leitlinien bieten große Chancen für eine nachhaltige Verbesserung der Patientenversorgung.

Gleichzeitig bergen schlechte, d.h. z.B. einseitig primär auf Studiendaten beruhende, Eminenz-dominiert entwickelte oder ausschließlich ökonomische Zielsetzungen adressierende Leitlinien große Risiken, nicht nur für eine zufriedenstellende Patientenversorgung, sondern auch für die diesbezüglich in der Verantwortung stehenden Ärzte.